
„Hast du am Pfingstsonntag etwas vor?
Nein?
Dann reserviere ihn bitte. Ich habe eine Überraschung für dich!“, sagte mein Schatzi zu mir.
Wir schenken uns üblicherweise nichts zum Geburtstag oder zu Weihnachten, und es gab auch keinen ähnlichen Termin in der näheren Umgebung. Also – einfach so, eine Überraschungs-Einladung.
Was für eine Überraschung!
Ich grinste breit – und in den folgenden Tagen kehrte dieses Lächeln immer wieder zurück, leise und voller Vorfreude auf was auch immer mich erwarten mochte.
Ganz ohne Nachfragen ging es natürlich nicht. Ich wollte wenigstens wissen, was ich anziehen soll. Ich hörte als knappe Antwort: „Praktische, bequeme Kleidung, nix Schickes. Und falls es regnet, wäre vielleicht auch eine Regenjacke gut.“
Okay, also wird es wohl draußen stattfinden.
Zwei Tage vor Pfingstsonntag konnte ich noch herauslocken, dass wir etwa eine Stunde Fahrtzeit haben werden und um etwa halb 12 losfahren sollten, um pünktlich zu sein.
Hmh, etwas in der Umgebung also, mit einem gebuchten Termin.
Am Sonntagmorgen dann fragte ich, ob ich denn nun wissen dürfe, wo es hingeht. Er schickte mir still schmunzelnd zwei Screenshots – und ich hüpfte vor Freude und flog ihm in die Arme! Wir würden einen Ausflug zu einer Tier-Auffangstation machen, inklusive eines kleinen Seminars.
Ich liebe Tiere!
Doch diese Station war wirklich außergewöhnlich.
Hier gab es zwar Katzen und Huftiere, aber keine heimischen.
Der Hof, idyllisch im Nirgendwo des Münsterlands gelegen, hat sich zur Aufgabe gemacht, Großkatzen und exotische Tiere, die in Zoos, Zirkussen oder ähnlichen Institutionen keinen Platz mehr finden konnten, aufzunehmen.
Und diese Tiere konnten wir dort hautnah erleben – und sogar füttern!
Der Inhaber, etwa Mitte 40, scheint den Hof weitgehend allein zu führen. Er hat sich bewusst von seinem ehemaligen Geschäftsleben verabschiedet und sich weitergebildet, um seine Leidenschaft, die er schon in seiner Kindheit hatte, endlich in die Realität umzusetzen. Er gibt den Tieren dort eine artgerechte Versorgung und ihm ist stets sehr bewusst, mit welchen Tieren er sich umgibt und dass selbst kleinste Fehler im Gehege zu seinem Tod führen können. Das und viele ähnliche Dinge sowie viele Informationen zu artgerechter Haltung, dem Einfluss der Medien auf Vermenschlichung der Tiere und diversen Impulsen zu unser aller Persönlichkeitsentwicklung haben wir im Seminarteil erfahren.
Seine Sichtweise hat mir sehr zugesagt.
Dann gingen wir zu den Tieren.
Zuerst besuchten wir einen weißen Tiger. Es ist sehr beeindruckend, wenn dieses mächtige Tier direkt auf einen zu trabt, nur ein Metallgitterzaun zwischen uns und ihm (der zugegeben mindestens 4 Meter hoch war, aber eben nur ein Zaun). Wir standen also fast hautnah am Tier.
Man bekommt eine Idee, wie es den Menschen ergehen muss, die diesen Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum plötzlich gegenüberstehen. So schön der weiße Tiger mit seinen großen Augen, pfannengroßen Pfoten und geschmeidigem Körper auch ist – er hat ein gigantisches Maul, enorme Körperkraft und Nahrung gefällt ihm grundsätzlich sehr.
Die Seminare sind übrigens erst ab 14 Jahren buchbar, denn Kinder im Alter von 5-6 Jahren gelten für die Tiere als potenzielles Futter. Ich habe mich gefragt, wie sich der jüngste Teilnehmer unserer etwa 16-köpfigen Gruppe, der vermutlich gerade 14 Jahre alt war, in dem Moment wohl gefühlt haben mag.
Der Inhaber reichte uns einzeln und nacheinander jeweils einen Bambus-Stock, wie man sie im Garten verwendet, an dessen Ende er eine kleine Hähnchenkeule aufgespießt hat. Diesen sollten wir dann durch die schmalen Gitterstäbe schieben, damit der Tiger das Hähnchenstück ab„pflücken“ kann. Der Moment, in dem ich die Kraft des Tigers spürte, während er das Hähnchen mit einem tiefen Brummen vom Stock zog, hat mich tief beeindruckt.
Ich schaute auch den anderen Teilnehmern noch zu, wie sie ebenfalls die Snacks durchs Gitter reichten.
Wir haben danach ein Löwenpaar besucht, welches wir auch füttern durften. Das Knurren des Löwen war für mich das Eindrücklichste des ganzen Tages – kein Gebrüll wie im Film, sondern ein tiefes, kehliges Grollen, das durch Mark und Bein ging. So tief, dass man es mehr fühlte als hörte. Was für ein Volumen!
Ich hielt den Atem an, als ich ihm das Futter reichte, und war gleichzeitig voller Ehrfurcht und Begeisterung. Auch die Löwin wirkte wach und präsent, hielt sich jedoch im Hintergrund – aufmerksam, stets in Bewegung, aber nicht nach vorn drängend. Man konnte erahnen, wie gut die beiden aufeinander abgestimmt waren.
Fun Fact: Alle Katzen scheinen das Treteln gemein zu haben. Denn als die beiden auf ihre Snacks warteten, schauten wir in erwartungsvolle Katzenaugen und am Boden tanzten die Pfoten hin und her, wie bei unseren kleinen Miezekatzen zu Hause.
Doch als der Löwe kurz darauf etwas ungehalten reagierte, weil der Wind zu laut durch die Büsche rauschte, waren wir sofort wieder in der Realität und wir wussten innerhalb Sekundenbruchteilen wieder, wer da vor uns saß.
Dann besuchten wir das ganz besondere Paar, das niemand sonst aufnehmen wollte.
Eine sehr spezielle Kombination.
Mehr verriet der Inhaber nicht, als er verschwand, um die Klappe zu öffnen, damit sie aus ihrem Haus herauskommen konnten.
Die Tür hob sich und heraus schoss: ein Yorkshire-Terrier! Seine fluffigen langen Haare wehten im Wind und er hüpfte fröhlich durch das große Gehege.
Ich hielt es zunächst für einen Scherz – doch dann begriff ich, was ich da sah.
Denn der nächste Kopf, der aus der Tür herausschaute, war ein bengalischer Tiger!
Die Zwei sind zusammen aufgewachsen und man hatte es versäumt, sie rechtzeitig wieder voneinander zu trennen. Was sinnvoll gewesen wäre, denn die Chancen standen 50:50, dass der Tiger den Yorki irgendwann als Snack betrachten könnte.
Doch das ist nie geschehen. Der Yorki schläft nachts abwechselnd bei seinem Tiger-Freund oder auch beim Inhaber – er kann das selbst frei entscheiden.
Der Tiger drehte gemächlich und erhaben seine Runden im Gehege, während der quirlige Yorki permanent um, hinter und vor dem Tiger herumflitzte. Wirklich eine ganz besondere Kombination!
Später kamen wir zu drei schwarzen Leoparden, deren Gehege zusätzlich von oben vergittert war – wie eine Voliere, nur deutlich massiver. Das war nötig, wie man uns erklärte, denn Leoparden könnten tatsächlich senkrecht an Gittern emporklettern, wenn sie wollten.
Einer der drei saß hoch oben auf einem Podest und beobachtete uns mit funkelnden Augen, die anderen beiden bewegten sich lautlos durch das Gehege, wie schwarze Schatten.
Trotz der Gitter spürte man ihre Energie, ihre Beweglichkeit, ihre unberechenbare Eleganz. Ich war ganz fasziniert von diesen geschmeidigen und unglaublich schnellen Tieren. Und irgendwie auch sehr, sehr dankbar, dass diese Tiere dort eine sichere Bleibe gefunden haben – auch wenn sie niemals wieder ausgewildert werden können.
Den Abschluss der Großkatzen bildeten zwei mächtige sibirische Tiger, echte „Shirkans“ (für die Dschungelbuchfreunde unter uns).
Ihr Gehege lag im Innenbereich des Hofs und wirkte noch größer als die der anderen Tiere.
Direkt zu Beginn bekamen wir einen Eindruck von ihrer mächtigen Kraft: Sie waren sich über irgendetwas uneins und plötzlich flogen sie aufeinander zu, brüllten ohrenbetäubend und hauten sich richtig was auf die Ohren!
Die gesamte Gruppe schien wie erstarrt und beobachtete mit großen Augen diese eindrucksvolle Demonstration ihrer Kraft.
Der Inhaber war auch gerade im Gehege und beeilte sich, die Katzen wieder voneinander zu trennen und eine wieder ins Haus zu schicken.
Weil es einfach besser ist.
Für den Moment.
Für alle.
Die Fütterung des einen Tigers, der noch im Gehege war, übernahm danach ausschließlich der Inhaber selbst. Mit ruhiger Selbstverständlichkeit, als wenn nichts geschehen war, holte er eine Trittleiter mit fünf Sprossen, stellte sie ans Gitter und stieg hinauf, während der Tiger bereits erwartungsvoll näherkam. Dann richtete sich das Tier auf, stellte sich auf die Hinterbeine, streckte die mächtigen Vorderpfoten gegen das Gitter und war mit seinem Kopf auf Augenhöhe mit dem Mann auf der Leiter. Der Tiger nahm das Futter, das ihm durch das Gitter gereicht wurde, erstaunlich sanft entgegen – seine Pranken, groß wie Bratpfannen, jedoch blieben eindrucksvoll an Ort und Stelle. Kein Zweifel: Dieser Moment war vertrauensvoll und gleichzeitig voller Respekt.
Es war still ringsum, niemand sprach ein Wort.
Alle schauten nur – gebannt, staunend, ehrfürchtig.
Natürlich besuchten wir auch die Huftiere. Wir fütterten freche Zebras, gaben Leckerchen an Lamas, an Alpakas und an zwei Kamele. Das war der entspannte Teil der Tierbesuche – wir konnten die Lamas und Alpakas etwas streicheln, wenn sie es zuließen, und ihre Freundlichkeit und Nähe einfach genießen.
Auf dem Rückweg zum Seminarraum sagte jemand leise: „Das war jetzt irgendwie … mehr als ein Zoobesuch.“ Ich nickte.
Genau das war es.
Es war ein Einblick in eine Welt, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt – und vor allem ein neuer Blick auf diese Tiere.
Nicht als Fotomotiv.
Nicht als Zirkusnummer.
Sondern als eigenständige, kraftvolle Wesen mit Geschichte, Charakter und Anspruch.
Ich bin dankbar für diesen Tag.
Und für meinen Schatz bin ich sowieso dankbar – was für eine besondere Überraschung!
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