Woran denkst du als Erstes, wenn du „China“ hörst?
Temu? Überfüllte Fabriken? Billige Massenware und Raubkopien? Oder eher an den Film „Sieben Jahre in Tibet“, die Ein-Kind-Politik (1979 – 2015), Mao Zedong und Xi Jinping? Vielleicht fällt dir aber auch asiatische Kampfkunst, die TCM (traditionelle chinesische Medizin) oder sogar die Chinesische Mauer ein.
Ich persönlich denke auch noch an eine sehr liebe, ehemalige chinesische Kollegin und die schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten. Sie schenkte uns damals einen Einblick in die chinesische Esskultur, als sie uns zu einem Frühstück mit typisch chinesischen Speisen einlud, die sie selbst zubereitet hatte. Das war wirklich eine kulinarische Neuentdeckung für mich!
Na ja, so oder so ähnlich geht es vermutlich vielen von uns. Vielleicht fällt dir noch dies oder jenes dazu ein, aber so richtig viel wissen wir über dieses Land nicht. Das meiste davon stammt vermutlich aus Gelesenem oder Gehörtem – Nachrichten, Zeitungen, Fernsehen, Internet, was die Leute so erzählen. Immer vorausgesetzt, du bist kein Asien-Experte oder warst schon persönlich dort.
Ein Artikel über China hat mich über diese oft stereotypen „ersten Gedanken“, die wir zu den verschiedensten Themen haben können, innerlich aufhorchen lassen. Dieser Artikel berichtete über einen Grüngürtel, der um die Taklamakan-Wüste herum erschaffen wurde – von den Chinesen selbst.
Dieses Projekt dient als ökologische Barriere dazu, die Ausbreitung der Wüste einzudämmen und umfasst eine Länge von etwa 3 000 Kilometern.
Stell dir eine Wüste vor, umgeben von einem grünen Band aus Millionen von Bäumen.
Ich war beim Lesen dieses Artikels sehr überrascht, auch einmal einen durchweg positiven Text über die Chinesen in Bezug auf die Natur zu lesen. Doch die ersten Gedanken, die in meinen Kopf kamen, als ich „China“ in der Überschrift las, ließen mir keine Ruhe und ich schaute etwas tiefer in mein Inneres hinein, was denn da eigentlich los ist.
Warum sind sie so geworden, die ersten Impulse?
Während ich über meine eigenen ersten Gedanken nachdachte, formten sich zu dieser Frage ganz von allein einige Bilder in meinem Kopf und erzählten mir eine kleine Geschichte, die ich gern mit dir teilen möchte.
Es erschienen zwei junge Männer vor meinem inneren Auge. Lass sie uns einfach „Gelesenes“ und „Gehörtes“ nennen.
Stelle dir diese beiden Herren als Mittdreißiger vor, jeder von ihnen in einem schönen Ledersessel lümmelnd, bequem hinten angelehnt. Die Arme liegen lässig auf den Armlehnen, die Beine fallen halb ausgestreckt locker nach außen. Ihre hochwertigen Hemden hängen nachlässig aus dem Hosenbund, die Hosen sind leicht zerknittert.
Sie schauen dich an.
Ihr Blick ist allwissend, von sich überzeugt, ein klein wenig überheblich und gleichzeitig gelangweilt. Einer von ihnen gähnt unverhohlen und sie unterhalten sich über belanglose Dinge.
Um sie herum sind viele Bücherregale, voll mit hervorragender Literatur, aber mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Keiner von ihnen hat sich kürzlich die Mühe gemacht, selbst ein Buch aus dem Regal zu holen. Sie haben sich völlig darauf verlassen, dass ihre Unterhaltung untereinander absolut ausreichend ist.
Diese beiden Herren verkörpern „Gelesenes“ und „Gehörtes“.
Kannst du mir noch folgen? 😊
Mir persönlich gefallen diese zwei Herren so nicht besonders.
Wie wäre es also, wenn wir diese beiden von sich überzeugten jungen Männer mal aus ihren Sesseln aufscheuchen könnten und bitten würden, mal wieder in ihren Regalen nachzuschauen, anstatt nur immer denselben Brei im Kreis zu erzählen?
Also schlage ich ihnen vor, sich zu erheben und sich ihre wunderbare Literatur anzuschauen. Es gibt dort noch so viel zu entdecken.
Tatsächlich folgten sie meiner Idee und „Gehörtes“ setzte sogar noch einen „obendrauf“: Er ging an den Regalen vorbei und stellte sich ans Fenster und schaute nach draußen! Was es dort nicht alles zu sehen gab, staunte er.
Ihm fiel plötzlich etwas auf.
Er befand sich offensichtlich gerade in China, am Rand der Taklamakan-Wüste. Dort sah er viele Menschen, die eifrig Bäume und Sträucher pflanzten, in unglaublichen Mengen. Er sprach einen der Männer an, um zu erfragen, was dort geschah. Der Mann erwiderte, dass hier gerade ein wichtiges Natur-Projekt abgeschlossen wurde. Es wurde um die gesamte Wüste herum ein Grüngürtel errichtet, damit die Ausbreitung derselben eingedämmt wird. Das Projekt wurde vor 40 Jahren begonnen und hat den Anteil Chinas an der gesamten globalen Waldfläche von ehemals 10 % auf über 25 % erhöht. Die Fläche der Wüste entspricht fast der gesamten Fläche Deutschlands und der Grüngürtel selbst ist 3 046 Kilometer lang.
„Gehörtes“ staunte nicht schlecht. Das war ihm vollkommen neu! Und das hätte er nicht erfahren, wenn er auf seinem Platz hocken geblieben wäre und weiter mit „Gelesenes“ im Kreis über immer dieselben Dinge geredet hätte.
Deswegen beschloss er, seinen selbst erschaffenen Käfig zu verlassen. Er stieg kurzerhand aus dem Fenster und schaute sich das Ganze aus der Nähe an.
Live, mittendrin, zwischen unbekannten, faszinierenden Pflanzen in einer völlig neuen Welt.
Woran denkst du also, wenn du, wie in diesem Beispiel, „China“ hörst?
Vielleicht bleibt die Chinesische Mauer, die Ein-Kind-Politik oder asiatische Kampfkunst ein Teil deiner ersten Gedanken – aber was wäre, wenn wir aus unseren bequemen Gedanken-Sesseln aufstehen und die frische Luft am Fenster genießen?
Lass uns neugieriger sein, die Fenster öffnen und hinausschauen. Hinter den Klischees wartet eine vielschichtige Wahrheit, die oft faszinierender ist, als wir uns vorstellen können.
Probiere es doch beim nächsten Mal aus, wenn du merkst, dass deine Gedanken in die altbekannten Autobahnen abbiegen.
Vielleicht findest du ja eine neue, spannende Abzweigung.
(Bildquelle: Wikipedia, Taklamakan-Wüste. Vorschaubild: Pixabay+Canva, Eigenkreation)
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